Mittwoch, 11. Februar 2009

Palästina als Kriminalroman

11.2.2009

Bevor ich zum Thema komme, eine Bemerkung über die gestrigen Parlamentswahlen. Wie erwartet, fand ein gewaltiger Rechtsrutsch statt. Das ist schwer zu verdauen. "Unsere" Parteien, Arbeitspartei und Meretz, haben ein Resultat einstecken müssen, das sie fast von der politischen Landkarte fegt. Eine Regierung der Rechtsextremisten unter dem Feigenblatt Netanjahus wäre zwar eine kurzfristige Katastrophe für den Nahen Osten, sie würde sich damit höchsten noch in der Religion, soweit vorhanden, von Machthabern unserer Nachbarländer unterscheiden. Aber, im Unterschied zu diesen Nachbarn, kann auch eine extremistische israelische Regierung wieder abgewählt werden. Bedingung dafür ist, dass sich die zwei oben erwähnten Friedensparteien zu einer glaubhaften Alternative aufrappeln. Das braucht ein oder zwei Jahre, vielleicht auch mehr, aber ein Israel ohne Parteien mit menschlichem Gesicht, kann auf die Länge nicht überleben. Diese Art Integration in die orientalische Welt brauchen wir nicht. Der Grund zum gestrigen Resultat haben vor allem die extremistischen jihadistischen Parteien unserer Nachbarn, ihre über Tausend auf Israel geschossenen Raketen zu verantworten, auch wenn, das ist nun mal so, die Zahl der israelischen Opfer kleiner ist, als die Zahl palästinensischer Opfer. Das stört, so mein Eindruck, einige Frieden um jeden Preis (Friedhof?) suchende Gutmenschen, die eine ausgeglichene Opferbilanz vorziehen würden – anders kann ich den anklagenden Vergleich über die Diskrepanz zwischen den palästinensischen und israelischen Opferzahlen nicht deuten. Dem Volk sind die Raketen aus Gaza und Libanon schliesslich auf den Geist gegangen und es will nun eine endgültigere Reaktion darauf. Hamas sei Dank für Lieberman, Marzel und Konsorten. Der zweite Grund ist das Benehmen der israelischen Araber in ihrer sichtbaren Mehrheit, die sich in den vergangenen Jahren leider öfters als antiisraelische und sogar judenhassende Minderheit im Lande gezeigt hat. Sie sägt am Ast, auf dem sie sitzt und macht damit ihren Freunden (ich zähle mich dazu) wenig Freude. Hoffen wir, dass unsere arabischen Bürger endlich einmal kulturellen Ballast abstreifen werden, statt Clans zu wählen, die sich hinter den rein arabischen Minderheitsparteien verstecken. Diese arabischen Parteien, die nichts für ihre eigene Klientel tun, sind eine Verschwendung wertvoller Wählerstimmen. Besser wäre es, dass statt Ra'am und Balad (die kommunistische Hadash zähle ich nicht dazu) zu wählen, arabische Israeli sich von ihnen wohl gesinnte gesamtisraelische Parteien wie eben Meretz und die Arbeitspartei vertreten lassen würden. Hoffen wir, dass der faschistoide Spuck in der israelischen Politik, auf jüdischer und auch auf arabischer Seite, bald vorüber gehen wird. Mehr als zwei oder drei Jahre gebe ich ihm nicht, doch, wie vieles, ist auch die Politik keine Einbahnstrasse. Aus diesem Grund sehe ich den möglichen Rückzug der Meretz und Arbeitspartei aus Gründen ihrer Verantwortung für das Wohlergehen des Staates zurzeit als nicht opportun. Ich hoffe, dass wer immer die kommende Regierung bilden wird, sich auf eine möglichst breite politische Bandbreite einlässt, die aber keine Rechtsextremisten beinhalten darf.

Jetzt zu wirklich Wichtigem, dem oben angekündigten Krimi. Es sind eigentlich zwei. Heute beendete ich "Der Verräter von Bethlehem" von Matt Rees und begann umgehend mit der Lektüre dessen zweiten Buches "Ein Grab in Gaza". Zwar lese ich die Bücher in der original englischen Version, doch hoffe ich die deutschen Ausgaben, die schon herausgekommen sind, seien gut übersetzt. Was auch immer – im bin begeistert. Der Autor, ein britischer Journalist, der schon lange Jahre in Jerusalem lebt und die Westbank und ihre Gesellschaft kennt, hat mit diesen Krimis eine Beschreibung des dortigen Lebens geliefert, die genau und spannend eine Gesellschaft der Angst wiedergibt – fast wie in einem soziologischen Textbuch. Wie die palästinensische Gesellschaft von ihren als Freiheitskämpfer getarnten Verbrecherbanden terrorisiert wird, wie Christen von muslimischen Nachbarn verfolgt werden, wie die vollständige Korruption dieser Gesellschaft durch eben Korruption, Machtmissbrauch, einem kulturbedingten archaischen Ehrenkodex, religiösem Fanatismus und gegenseitigem Hass, sich selbst und ihre Zukunft zerstört, all das wird von Rees in faszinierender Dichte detailliert beschrieben. Er beschreibt auch die stete Bedrohung, die ein Einzelner erfährt, der sich dagegen stellt, weil er eine in dieser Gesellschaft unübliche Zivilcourage besitzt und die Wahrheit sucht und politisch inkorrekt denkt, spricht und handelt. Israel wird als fast unsichtbare, sich hinter dem Horizont befindende Bedrohung dargestellt, die Korruption der palästinensischen Gesellschaft für ihren eigenen Zweck nutzend und damit palästinensischen Banden und Politikern eine Begründung, eine Ausrede für ihr Tun liefernd. Doch, das sehe als wichtig an, die Akteure dieser Gesellschaft sind nicht Israelis, sondern ausschliesslich Palästinenser. Zudem sind die zwei Bücher (es werden, so hoffe ich, weitere folgen), nicht nur gut beobachtete Gesellschaftsanalysen, sonder auch ausgesprochen gute Kriminalromane.

Ich besprach das Buch mit meinem drusischen Freund Hani Hasisi, der, nachdem ich es ihm beschrieben hatte, zustimmte und meinte, in der Westbank sei es fürchterlich, Spuren davon seien auch unter israelischen Arabern zu finden (z.B. Ehrenmorde, Judenhass), aber in Gaza sei es zehnmal schlimmer. Es sei nicht nur ein palästinensisches Phänomen, sondern diese interne Gewalt und Terror seien genau so ausgeprägt in anderen arabischen Ländern, in denen jihadistische, aber auch säkulare "Freiheitskämpfer" ihr Volk terrorisieren – dort sogar ohne die Ausrede "Israel" zu besitzen. Ausgerechnet Amnesty International berichtet heute aus Gaza an sich nichts neues, nämlich die Morde der Hamas an mehreren Dutzend Menschen und vielen mehr gefolterten Menschen in ihrer Gewalt. Einige waren für die Sicherheitsbehörden der PA oder Fatah tätig, also Gegnern der Hamas, wurden von dieser entführt und später tot aufgefunden. Das palästinensische Menschenrechtszentrum spricht von 32 auf diese Weise durch Hamas getöteten Menschen. Es ist wohl logisch anzunehmen, dass erstens, diese Zahl unvollständig ist und zweitens, diese Toten, zusammen mit Leichen aus Leichenhallen und ähnlicher Herkunft, den Opfern "israelischer Aggression" hinzugezählt worden sind.

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