Samstag, 25. April 2009

Aus der Presse

25.4.2009

Über den Mord in Payerne im April 1942 am jüdischen Viehhändler Arthur Bloch aus Bern ist ein Buch erschienen, das in der NZZ ausführlich rezensiert wird. Zwar sollte die Geschichte, die Jacques Chessex erzählt, jedem Schweizer bekannt sein, es sei denn, man versuche dem Thema schweizerischer Nationalsozialismus während den Nazijahren bewusst aus dem Weg zu gehen. Wie es heute in Payerne geschieht, wo Chessex mit dem, in meinen Augen meist ehrenwerten Titel "Nestbeschmutzer" bedacht wird. Chessex wurde an der Fasnacht verspottet, die Stadt weigert sich bis heute, der Tat und dem Opfer zur Kenntnis zu nehmen und zu gedenken.

Dazu zwei Gedanken. Erstens, was wäre geschehen, wenn Adolf Hitler trotz der für ihn hilfreichen und beidseitig gewinnbringenden Zusammenarbeit mit der Schweizer Industrie und Banken, in die Schweiz einmarschiert wäre? Als dies in Österreich geschah, wurde Nazideutschland von Menschenmassen hysterisch begrüsst und die österreichischen Nazis und eine grosse Mehrheit des Volkes bemühten sich sofort ihre Vorbilder aus dem Dritten Reich (dem dann ab sofort auch Österreich angehörte), zu übertreffen. Wenn ich die Vorgänge in Payerne, den Mord sehe ich als einen Akt vorauseilendem Gehorsams, viele Reaktionen unter Medienkonsumenten und die Berichte über heute Selbsterlebtes meiner Tagebuchleser zum Thema Juden berücksichtige, hat sich seither wenig geändert. Zwar war ich in den Vierzigerjahren noch ein Kind und kenne die Zustände jener Zeit in der Schweiz vor allem aus der Literatur und von Hanni Zweig, aber ich mache mir gelegentlich Gedanken zum Vergleich Österreich-Schweiz. Solche Überlegungen wären grundsätzlich überflüssig, wäre nicht der offene Antisemitismus in der Schweiz heute für jeden zu sehen, zu lesen und zu hören, am Ansteigen. Was auch immer, viel hat sich nicht verändert, ausser, dass wir Juden heute nicht nur Feinde haben, sondern, im Vergleich zu den Kriegsjahren, sich nichtjüdische Freunde laut und vernehmlich für Juden und Israel einsetzen. Nicht nur aus evangelikalen, sondern auch aus sekulären politischen und privaten Kreisen, die weit aktiver sind, als wir Juden in der Schweiz. Auch wenn diese Kreise in der Minderheit sind. Doch wärmen wir dieses Thema nicht wieder auf.

Heute fand ich im Tages-Anzeiger ein hervorragendes Interview mit dem SIG Präsidenten Dr. Herbert Winter. Ich war freudig überrascht zu lesen, wie er souverän und faktenkundig die ihm gestellten Fragen beantwortete. Er liess sich weder vom Interviewer noch durch Aussagen des EDA (Schweizerisches Aussenministerium) ins Bockshorn jagen und kann zwischen Wichtigem und Ablenkendem unterscheiden. Ich möchte an dieser Stelle Herbert Winter herzlich danken und widerrufe, was ihn betrifft, meine bisher gemachten Stänkereien gegen die SIG. Möge er in diesem Stil weitermachen, er beweist Talent und könnte dieses für die Schweizer Juden weiterhin gewinnbringend einsetzen. Der Gemütszustand des Schweizer Judentums, zwischen Ignoranz und Panik, schreit geradezu nach pro-aktiver Führung – jetzt hat sich die richtige Person, so denke ich, dazu geoutet. Zu seiner Aufgabe gehörend, sehe ich auch unseren Schweizer Juden wieder Mut zu geben, ihr Rückgrat zu stärken und für sich selbst einzustehen, statt das Feld weichknochigen Ersatzjuden zu überlassen, die es nicht einmal wagen, für sich selbst einzustehen und statt dessen dem Schweizer Antisemitismus in den A. kriechen. Ist das klar genug?

Keine Kommentare: