Mittwoch, 10. Juni 2009

Vier Stunden im Ausland - ein Ausflug mit Machsom Watch

10.6.2009


"Bruchim Haba’im, atem ossim avodat kodesch!“ (Seid willkommen, ihr vollbringt eine extrem wichtige [heilige] Arbeit) – mit diesen Worten begrüsste uns ein israelischer Soldat an der Strassensperre Deir Sharaf (Bild 1). Ich war mit Susan und Alix, zwei Aktivistinnen der Organisation „Machsom Watch“ in der Westbank unterwegs (Bild 2). Machsom Watch ist eine Freiwilligen-Organisation israelischer Frauen, die sich zur Aufgabe gemacht haben, israelische Strassensperren und Grenzübergänge in den besetzten Gebieten zu besuchen und zu beobachten. Allfällige Zwischenfälle, vor allem das Schikanieren der zu kontrollierenden Palästinenser, werden notiert und ein entsprechender Bericht an die Armee weitergeleitet. Machsom Watch bringt damit die täglichen Demütigungen der palästinensischen Bevölkerung an die Öffentlichkeit, protestieren gegen die Besetzung der Westbank durch Israel und das von ihren Beobachterinnen als unmenschlich empfundene Benehmen der Armee.

Von den Strassensperren war ich enttäuscht. Nichts war zu sehen von der "Dramatik" stundenlang anstehender Menschenmassen, so wie sie von den Medien gerne gezeigt werden – vielleicht finden diese an anderen Tageszeiten statt. Wir besuchten einen kontrollierten Durchgang des Sicherheitszaunes, eines sogenannten Landwirtschaftstores. Dieser Durchgang, mit Namen Habla, wird zweimal oder mehrmals täglich geöffnet, um palästinensische Bauern durchzulassen, die auf ihren Feldern westlich des Sicherheitszaunes zu arbeiten haben. Auf der westlichen Seite dieses Durchgangs befinden sich sehr farbenprächtige grosse Gartengeschäfte, in denen palästinensische Gärtner ihre Pflanzen anbieten – an israelische Kunden. Die Soldaten und Soldatinnen dieser Sperre hatten noch nie von der Machsom Watch gehört, aber der kommandierende Wachtmeister, nach einem Versuch die zwei Damen zu verscheuchen, lenkte ein, indem er sie ignorierte.

Bei der Einfahrt ins Dorf Azzun fand ich auf beiden Seiten der Strasse grosse Erdhügel. Diese werden durch Armeebulldozer auf die Strasse geschoben, wenn die Armee Verkehr zu und aus diesem Ort verhindern will. Azzun ist, so ist es auf der Landkarte zu sehen, eigentlich westlich des Sicherheitszauns gelegen und daher fast völlig durch eine separate Anlage eingeschlossen. Der Ort, so weit ich sehen konnte, besitzt hübsche Läden und Bauten – wie es in den dort wohnenden Menschen aussieht, das kann ich höchstens ahnen (Bild 3). Sie waren freundlich zu mir, vielleicht wegen dem Machsom Watch Ausweis, den mir Susan ans Hemd gesteckt hatte. Azzun war das einzige von uns besuchte Dorf.

Wir fuhren weiter an die Strassensperre, die den Zugang nach Qalqiliya kontrolliert. Zwar sassen dort einige Reservesoldaten mit ihrem Hauptmann, der den Befehl erhalten hatte, den Durchgang völlig zu öffnen und keine Kontrollen durchzuführen. Der Verkehr war uneingeschränkt frei. Die Soldaten luden uns zu einem Kaffee ein, der jedoch von den zwei Damen strikt abgelehnt wurde. Ähnlich fanden wir andere Kontrollposten, an denen vor allem darauf geachtet wurde, dass keine Autos mit israelischen (gelben) Nummernschildern zu palästinensischen Dörfern oder Städten durchfahren konnten. Palästinenser wurden durchgewinkt. Nur einmal, an der Strassensperre Anabta (Bild 3), der Zufahrt zu Tulkarem, wurde der dortige Hauptmann mit den zwei Damen unwirsch und wollte, dass sie sich zehn Meter zurückziehen sollten, was die Zwei ignorierten. Der Offizier sagte: „Ihr wollt den Palästinensern helfen, doch mit eurer Tätigkeit schadet ihr ihnen“. Dann wurden meine zwei Freundinnen zum zweitenmal von Soldaten ignoriert.

Wir fuhren am kleinen Dorf Shuafat vorbei. Zu diesem Dorf, wurde mir erklärt, gibt es heute keine Zufahrtsstrasse, obwohl es an einer Hauptstrasse liegt. Die Bewohner können es nur über einen kurzen Feldpfad betreten oder verlassen, der einzigen Verbindung zur Hauptstrasse.

Wir besuchten zwei Anlagen am Sicherheitszaun, Sha’are Ephraim/Irtah (Bild 5), relativ weit östlich von der Grünen Grenze gelegen) und Eyal. Durch diese Anlagen werden Arbeiter und Arbeiterinnen, die in Israel arbeiten, geschleust. Sie betreten die Station in Palästina, winden sich, früh morgens, durch die komplizierte Anlage von Kontrollposten, Drehkreuzen und Drahtzäunen und verlassen diese in Richtung Israel, begeben sich auf den Parkplatz und werden dort von ihren israelischen Arbeitsgebern abgeholt. Zur Heimkehr absolvieren sie diesen Parcours in umgekehrter Richtung. Früh morgens und spät abends sei, so Susan, der Andrang enorm und die Wartezeit entsprechend lang.

Die Damen der Machsom Watch mögen weder die israelische Armee noch die Polizei. Diese Abneigung grenzt ans Pathologische und wirkt deplatziert. Kontext, Zusammenhänge, Hintergründe und historische Fakten interessiert sie nicht. „Uns interessieren nur die Leiden der Palästinenser“, wirkliche und eingebildete, dachte ich. Ihre Tätigkeit und Sympathie ist völlig und einseitig auf die „armen“ Palästinenser ausgerichtet. Sie vermeiden Gespräche mit Soldaten und Offizieren, sie weigern sich für Machsom Watch eigentlich positive Reaktionen von dieser Seite, wie die oben erwähnte Begrüssung durch einen Soldaten, zur Kenntnis zu nehmen - sie wurde im Tagesrapport nicht erwähnt. Bei der Siedlung Karnei Shomron vorbeifahrend, wurde mir erklärt, in jeder jüdischen Siedlung gäbe es ein Militärlager und die Armee sei vollständig im Dienste extremistischer Siedler. Diese Einstellung widerspricht der Tatsache, dass Soldaten von Siedlern beschimpft, bespuckt, verprügelt und verletzt werden. In meinen Gesprächen mit Susan und Alix lernte ich viel Erhellendes, doch wenn ich eine Frage stellte oder etwas kommentierte, das ihnen nicht zu passen schien, wurde dies schlicht überhört. So meine Feststellung, dass seit der Sicherheitszaun bestehe, Selbstmordattentate fast ganz verschwunden seien. Oder, hätte die arabische Welt 1947 die UNO-Resolution 181 akzeptiert und nicht versucht Israel zu vernichten, das palästinensische Flüchtlingsproblem nicht entstanden wäre.

Dreimal trafen wir dieselbe arabisch-israelische Familie aus Nazareth in ihrem blauen Minibus (Bild 1 und 4), denen es erst beim dritten Versuch an der Strassensperre Anabta gelang durchzukommen. Vorher wurde sie er an zwei anderen Kontrollstellen abgewiesen da israelische Autos nur an Samstagen Zutritt hätten. Warum ausgerechnet Samstag ist mir nicht klar, der muslimische Ruhetag ist der Freitag. Die Armee legt in den besetzten Gebieten strenge Regeln für den Autoverkehr und vieles anderes fest und viel davon ist nicht immer verständlich. Wie mir Susan erklärte, gibt es in der Westbank zweierlei Landstrassen. Jene Landstrassen, auf denen alle, Palästinenser und Israelis, fahren dürfen und zweitens, jene Strassen, von Machsom Watch Apartheidstrassen genannt, die ausschliesslich für Siedler gebaut worden sind. Auf diesen dürfen Autos mit palästinensischen Nummerschildern (weiss mit grüner Schrift) nur mit einer speziellen Bewilligung fahren, die alle drei Monate erneuert werden müsse. Eine Erneuerung dieser Bewilligen kann grundlos verweigert werden. Deshalb ist heute eine grosse Taxiflotte in der Westbank zu finden, denn Taxis brauchen diese schikanösen Bewilligungen nicht – sie fahren frei überall hin, auch wenn sie an Strassensperren kontrolliert werden.

Bei Anabta trafen wir einen israelischen Polizisten, der sich sehr lautstark mit einer ebenso lautstarken Araberin unterhielt. Wir dachten, die zwei stritten sich und Susan sagte, dass diese Frau eine Israelin sein müsse, denn Palästinenser streiten sich nicht mit Polizisten und Soldaten, Sie seien unterwürfig und mucken nicht auf. Doch als ich näher trat, fand ich, dass sich die Zwei in aller Freundschaft und mit viel Humor unterhielten. Die Israelin hatte gerade einen Strafzettel erhalten und schien sich darüber zu freuen. Ich schlug dem Polizisten, einem Drusen namens Halabi (dem Grössten aller Drusenclans Israels), er solle ihr einen zweiten Strafzettel verpassen, da sie sich darüber ganz offensichtlich freue. Die zwei kugelten sich vor lachen – aber fotografieren durfte ich sie nicht. Fotografieren von Soldaten und Polizisten an Strassensperren der Westbank ist verboten, vor allem ihre Gesichter dürfen nicht erkennbar sein. Susan hatte richtig getippt – israelische Araber sind in den Jahrzehnten als israelische Bürger in einer freien Gesellschaft, selbst freier geworden und haben keinerlei Probleme mehr, sich mit Behörden (dem Staat!) lautstark und furchtlos auseinanderzusetzen. In der arabischen Gesellschaft der Angst – Palästina gehört dazu – sind die alten arabischen Traditionen in Kraft, die das Aufmucken gegenüber Autorität verhindern. Gerade in der Westbank, in der nicht nur die Behörden der PA (Palestinian Authority) das sagen haben, sondern zahlreiche Verbrecherbanden, als Widerstandskämpfer getarnt, die Bevölkerung terrorisieren, ist diese verständliche Angst ein wichtiger Grund dafür, dass friedenswillige Palästinenser sich nicht öffentlich bemerkbar machen. Und ebenso ein Grund für den neidvollen Hass auf die „Araber von 48“, die arabischen Bürger Israels, die in der arabischen und muslimischen Gesellschaft der Angst völlig unbekannte Freiheiten geniessen.

Zusammenfassend: meine vier Stunden in der Westbank – die ich seit meiner Teilnahme am Sechstagekrieg nie mehr besucht hatte – zeigte mir nur sehr wenig über das Leben und Leiden der Palästinenser. Was ich erlebte, waren recht harmlose Muster, die den Anklagen gutmenschlich Friedensbewegter in keiner Weise entsprechen, mit Ausnahme der Anlagen Sha’are Ephraim/Irtah und Eyal. Exzesse habe ich nirgends erlebt, doch bin ich überzeugt, dass es sie als Einzelfälle gibt. Die Armee, ob gewollt oder ungewollt, stimuliert mit dem Mittel der unzähligen Strassenkontrollen, nächtlichen Razzias in den Dörfern (auch wenn die vorzüglichen Nachrichtendienste, diese oft berechtigen) und dem leider erworbenen Ruf, sogar kriminelle Siedler bei deren Gewaltausbrüchen gegen palästinensische Bauern zu protegieren, unter den Palästinensern ein Gefühl der Unsicherheit. Das ist schlecht für die Palästinenser und nicht weniger schlecht für das Image Israels. Ich habe meine Meinung bestätigt gesehen, dass die meisten Strassensperren innerhalb der Westbank nur der Schikane der Bevölkerung dienen, auch wenn die Soldaten ihre Pflicht gewissenhaft wahrnehmen. Der Sicherheitszaun hat seine Berechtigung überzeugend bewiesen, der palästinensische Terror in Israel ist fast gänzlich unterbunden. Es scheint aber Leute zu geben, die bis heute nicht begriffen haben, dass der Sicherheitszaun eine Folge palästinensischen Terrors in Israel ist und nicht umgekehrt. Ob dieser Zaun genau auf der Grünen Linie steht oder nicht, scheint mir in diesem Zusammenhang nicht von primärer Wichtigkeit, Menschenleben haben, wenigstens bei uns Juden, Vorrang. Irgendwann in der Zukunft, wenn doch einmal Frieden einkehrt, wird der Sicherheitszaun verschwinden – denn grundsätzlich würde er ein vernünftiges Nebeneinander zweier Staaten, Palästina und Israel, nicht zulassen. Dass es dazu kommt, liegt vor allem an der Bereitwilligkeit der arabischen und palästinensischen Welt, ihren Hass auf Israel und Juden zu überwinden. Dann wird auch Israel Herr über seine verrückten messianischen und faschistoiden Siedler werden. Nur, die Folgen des israelischen Exodus aus Gaza haben bewiesen, dass die palästinensische Welt noch nicht so weit ist, Israel zu akzeptieren.

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