Samstag, 30. Juli 2011

Zwei Kommentare


Israel streikt
Immer wieder habe ich mich darüber ausgelassen, wie der Durchschnittsisraeli sich kaum darum kümmert, wie wenig und wie fahrlässig die Regierung sich mit Sozialem abgibt. Seit Ben Gurion brachten israelische Ministerpräsidenten die Ausrede vor, sie hätten für Innenpolitisches keine Zeit, denn die Sicherheitsprobleme des Landes halte sie vierundzwanzig Stunden im Tag auf Trab. Während den ersten zwei oder drei Jahrzehnten seines Bestehens war diese Ausrede vielleicht begründet – heute ist sie es nicht. Denn noch nie war Israel vor seinen externen Feinden sicherer und noch nie war Israel intern so gefährdet wie heute.
Schuld daran sind Israels Wähler. Seit Ende der siebziger Jahre, als die Macht der Arbeitspartei (damals Mapai), ihrer sozialistischen Koalitionspartner und der israelische Wohlstandstaat der Gründergenerationen sukzessive einem bisher in Israel wenig bekannten Neoliberalismus Platz machte, verloren linke sozial denkende Parteien ihren Einfluss und sind heute fast völlig sprachlos. Links und Rechts definiert sich ausschliesslich durch den jeweiligen Grad eines rückwärtsgewandten Nationalismus. Heute hat Israel eine höchst erfolgreiche Wirtschaft, der jedoch seinen Bürgern wenig Gewinn bringt, was besonders den Mittelstand schädigt. Die Preise steigen – praktisch in allem, sei es Hüttenkäse, Benzin oder Wohnungen. Die Einkommen halten mit den Preisen nicht mit. Nun demonstrieren die Bürger, vor allem der Mittelstand, also jene die die Bürgerlasten tragen, Steuern zahlen (und damit hunderttausende gottesgläubige Parasiten aushalten, so wie ein französischer Politiker seine Mätresse), die Armeedienst leisten und den Fortschritt israelischer Wissenschaft und Technologien zu verantworten haben, um nur einige Beispiele zu nennen. Jetzt haben sie, für Israel ein Novum, entdeckt, dass Staat sie nicht als Leistungsträger von Israels wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Erfolgen anerkennt, sondern sie vor allem als Milchkuh nutzt, um seine zur Zeit völlig verquerte Politik zu finanzieren. Streiks breiten sich aus – für Wohnraum, für die Anerkennung israelischer Ärzte und vor allem für das Sanieren des völlig vernachlässigten Gesundheitswesens und gegen die unkontrollierte Teuerung. Nethanyahu schwitzt und lügt, hat aber bisher noch keine eigene Initiative demonstriert, sich für einmal den Nöten seines Volkes zu widmen, mit Ausnahme jener, die im benachbarten Ausland jenseits der grünen Linie wohnen. Viele hoffen, dass die Regierung kollabieren wird, doch habe ich mit Hinblick auf die Regierungskoalition wenig Hoffnung darauf. Neuwahlen sind die einzige Möglichkeit sozial verantwortungsbewusste Politiker ans Ruder zu bringen. Warten wir ab.

Norwegen

Der vierundneunzigfache Massenmord in Norwegen beschäftigt die Medien. Für einmal waren es nicht Islamisten, sondern ein durchgedrehter Rechtsradikaler, der Muslime und andere Fremde hasst, etwas gegen Multikulturalismus hat und das Abendland retten will. Die Opferzahl dieser grauenvollen Tat übersteigt die durchschnittliche Erfolgsrate der Terroristen islamistischer Couleur, die bestimmt vor Neid erblasst sind. Ich denke es besteht tatsächlich die Gefahr von sogenannten Copy Cat Tätern, die diese schreckliche Tat nachahmen könnten. Es versteht sich von selbst, dass diese in den Medien auf verschiedenste Weise kommentiert wird. Etwa:
  • Glenn Beck, ultrarechter Kommentator und Freund Israels aus Amerika vergleicht die ermordeten Jugendlichen mit der Hitlerjugend – denn sie gehörten der Jugendbewegung der Sozialdemokratischen Partei an. Beck hat keinerlei Ahnung was sozial oder Sozialismus bedeutet, scheint beides zu hassen und hat  eine grosse Gefolgschaft in den USA und heute leider auch in Israel. Zwar finde ich es schön, dass Beck Israel aktiv stützt, aber etwas in seiner Motivation dazu kann nicht stimmen. Sowenig wie die Motivation Israel unterstützender extremistischer Evangelikaler.
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  • Auf der anderen Seite fallen „Israelkritiker“ über Realisten wie Henryk M. Broder her. Er und seinesgleichen seien schuld, weil der norwegische Mörder ihn in seinem famosen Manifest einige Male erwähnt habe – obwohl eben dieses Manifest vor impliziertem Judenhass trieft, auch wenn Breivik Israel und seine Juden als Verbündete in seinem Kampf für ein rassistisch reines Europa angibt. Welche Juden haben ihm so was zugesagt? Vielleicht der unappetitliche Dr. Norman Finkelstein, Paragon der Zunft selbsthassender Juden? Das Manifest ist eine riesige Sammlung von Artikeln vieler islamkritischer und auch anderer Autoren, Broder ist nur einer von sehr vielen. Seitenweise wird islamische Geschichte wiedergekäut, christliche Kriege gegen den Islam seit dem Mittelalter besprochen – ein Sammelsurium seitenlanger Zitate und Anleitungen, deren Höhepunkt Rezepte zur Bombenherstellung sind.
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  • Der norwegische Massenmord an fast hundert Menschen ist grauenhaft. Ein Relativieren mit den Opfern islamistischer Fanatiker ist trotzdem nicht statthaft, auch wenn besonders arge Israelkritiker gerade das versuchen und über Israelsympathisanten herfallen. Mord ist Mord, eine Buchhaltung darüber zu führen ist fast so entsetzlich wie die Tat selbst. Nicht umsonst heisst es „les extrêmes se touchent“, ein Ausdruck, der sich besonders in der Motivation linker und rechter Extremisten bestätigt, die ähnlich blindem Hass frönen, einem Hass der sie verbindet und motiviert. Genau so wenig wie für den Massenmord in Norwegen darf es Ausreden, ja ein wohlwollendes Verstehen ähnlicher Taten islamistischer und palästinensischer Extremisten (die Grenzen sind fliessend) geben, wie es sogar in jüdischen Reihen vorkommt. Finkelstein oder, um in der Schweiz zu bleiben, die mehr als kuriosen „Jüdinnen und Juden für einen gerechten Frieden in Palästina“, die gerade eine Unterschriftensammlung zur Förderung von Israels Untergang eröffnet haben. Erfreulicherweise haben sich schon fast 0,5 Prozent der Schweizer Juden eingetragen. Ein ungeheurer Erfolg!

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