Montag, 12. Dezember 2011

Ein Gedicht von Konstantinos Kavafis



Als Einstieg eine Feststellung: Im Jahre 2012 wird die grosse Mehrheit der Muslime im Mittleren Osten und Nordafrika von radikalislamistischen Regimen regiert sein, die glauben, dass mit einem Jihad auf Amerika und Israel, mit der Zerstörung Israels, mit der Unterdrückung der Christen, mit dem weiteren Reduzieren des rechtlichen Status der Frau, sie den Willen Gottes, als dessen Diktatoren zu regieren, erfüllen. Ich meine damit Ägypten, Gaza, Iran, Libanon, Libyen, Tunesien und die Türkei. Es könnten noch weitere dazukommen. Das ist das Resultat freier Wahlen in diesen Ländern und beweist eigentlich nur, wie reaktionär die Mehrheit der muslimischen Welt agiert und Demokratie ausschliesslich auf den Akt des Wählens reduzieren.

Das Gedicht des griechischen Dichters Konstantinos Kavafis (1863–1933) „Warten auf die Barbaren“ beschreibt die heutige Situation, besonders mit Hinblick auf Europa, das angstvoll und fast gelähmt das Entstehen einer barbarischen Übernahme entgegen sieht – und nichts tut. Man kann viel in seine Worte hineinlesen, das dieser Situation entspricht.

Kavafis lebte im ägyptischen Alexandrien, das seit seiner Gründung in der Antike von allen im östlichen Mittelmeerraum engagierten Grossmächten kulturell geprägt wurde. Seine Gedichte schrieb er in Neugriechisch, einer relativ neuen und wiedererweckten Sprache, ähnlich wie das heute in Israel gesprochene Neuhebräisch, das auf dem biblischen Althebräisch basiert. Mein Schwager Dov mit dem zutiefst orientalischen Namen Rosenblum, stammt aus Alexandrien. Er und seine gesamte Familie wurden nach dem israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948 aus Ägypten gejagt, nachdem ihre gesamte Habe vom Staat beschlagnahmt worden war. Identisches fand in anderen arabischen Ländern, in den Juden lebten, statt. Was ist heute von Alexandriens uralter europäischer Kultur geblieben?

 

Warten auf die Barbaren (1904)

Worauf warten wir, versammelt auf dem Marktplatz?

Auf die Barbaren, die heute kommen.
Warum solche Untätigkeit im Senat?
Warum sitzen die Senatoren da, ohne Gesetze zu machen?

Weil die Barbaren heute kommen.
Welche Gesetze sollten die Senatoren jetzt machen?
Wenn die Barbaren kommen, werden diese Gesetze machen.
Warum ist unser Kaiser so früh aufgestanden?
Warum sitzt er mit der Krone am größten Tor der Stadt
Hoch auf seinem Thron?

Weil die Barbaren heute kommen,
Und der Kaiser wartet, um ihren Führer
Zu empfangen. Er will ihm sogar eine Urkunde
Überreichen, worauf viele Titel
Und Namen geschrieben sind.
Warum tragen unsere zwei Konsuln und die Prätoren
Heute ihre roten, bestickten Togen?
Warum tragen sie Armbänder mit so vielen Amethysten
Und Ringe mit funkelnden Smaragden?
Warum tragen sie heute die wertvollen Amtsstäbe,
Fein gemeißelt, mit Silber und Gold?

Weil die Barbaren heute erscheinen,
Und solche Dinge blenden die Barbaren.
Warum kommen die besten Redner nicht, um wie üblich
Ihre Reden zu halten?

Weil die Barbaren heute erscheinen,
Und vor solcher Beredtheit langweilen sie sich.
Warum jetzt plötzlich diese Unruhe und Verwirrung?
(Wie ernst die Gesichter geworden sind.) Warum leeren
Sich die Straßen und Plätze so schnell und
Warum gehen alle so nachdenklich nach Hause?

Weil die Nacht gekommen ist und die Barbaren doch nicht
Erschienen sind. Einige Leute sind von der Grenze gekommen
Und haben berichtet, es gebe sie nicht mehr, die Barbaren.
Und nun, was sollen wir ohne Barbaren tun?
Diese Menschen waren immerhin eine Lösung.
(Übersetzt vermutlich von Wolfgang Josing)

Im Gedicht bereiten sich die alten Römer auf den Einfall der Barbaren vor und planen, diesen bei Ankunft unterwürfig in den Hintern zu kriechen. Ganz besonders wird im ersten Teil des Gedichtes diese geplante Unterwürfigkeit beschrieben. Auch wenn dann die Barbaren nicht kamen (was nicht der Geschichte entspricht), könnte dieses Gedicht eigentlich gut auf das Verhalten verschiedener europäischer Regierungen zutreffen, die noch immer nicht merken wollen, dass die Barbaren schon eingetroffen sind und sich fast, aber noch nicht ganz, heimisch fühlen. Immerhin benimmt sich Israel - obwohl sich europäisch sehend, aber nicht in Europa liegend - anders und weigert sich den Kopf in den Sand zu stecken.

Aber eben, da gibt es ein Problem. Die projizierten Gefahren der Barbaren, werden von Politikern, die heute israelische Politik bestimmen, missbraucht. Über antidemokratische, gar faschistoide Gesetze, die dieser Wochen und Monate in einer Knesset mit rechtsradikaler Mehrheit vorgeschlagen werden, versucht Bibi Nethanyahu und Regierungs- und Parlamentsmitglieder noch weiter rechts von ihm die Demokratie, Israels wertvollstes Gut, auszuhöhlen. Sein Aussenminister Lieberman beneidet Russland und dessen Vladimir Putin, platzt vor Neid über Putins Machtfülle und neostalinistischen Regierungsstil und versucht diesen nachzuahmen. Seine Jünger helfen ihm dabei. Jüdische Rechtsextremisten wie die Hügeljugend der besetzten Gebiete, radikale Siedler und nationalreligiöse Rabbiner, die zum Hass auf Araber und Andersdenkende (man denke an den Mord an Itzchak Rabin), aufrufen und Gewalttaten gegen beide bibeltreu (wie sie meinen) unterstützen, sind eine relativ kleine, aber mächtige Regierungsstrippen ziehende Minderheit, die, bewusst oder unbewusst den Palästinensern hilft, Israel international zu desavouieren. Das hat wenig damit zu tun, dass islamistische Palästinenser Israel und Juden traditionell hassen und terrorisieren, sondern wie bei diesen, stammt die Motivation jüdisch-nationalistischer Juden aus ähnlichem ideologisch und religiös motiviertem rassistischem Hass. Wir sind halt, wie viele alte Israelis meinen, doch Cousins.


1 Kommentar:

Kamil hat gesagt…

Lesen bildet! Doch manchmal braucht man außer der Fähigkeit zu Lesen auch noch Verstand. Viele Jugendliche kennen dieses Gedicht aus ihrer Gymnasial-Zeit, dass sehr kritisch mit der kulturellen Ignoranz und politischer Einbildung "der Römer" umgeht. Über die Interpretation die Sie hier zu Besten geben kann Mensch deshalb nur schmunzeln, denn das Gedicht handelt genau von dem Gegenteil bzw. wendet sich genau gegen diese Orientalisierung "des Fremden“ die hier betrieben wird.
Die Barbaren sind ja nur ein Produkt der Einbildung "der Römer" und gerade deshalb kommen sie nicht, genau wie Ihre Vorstellung von den hier imaginierten Feinden die Europa bedrohen.

Das schöne an Poesie ist, besonders an so wunderbaren Gedichten wie denen von Kawafis, dass jeder und jede der/die etwas Verstand hat sofort versteht, dass sie genau den politischen Prozess beschreiben den Sie in Ihrer Angst gegenüber „den Fremden“ auf diesem Blog zu Ausdruck bringen.

Na ja, angesichts der Qualität des Schweizer Bildungssystems ist das auch kein Wunder, dass dann sowas im Deutschunterricht bei raus kommt. Ein Klick auf die Seiten des Goetheinstitutes oder jeder beliebigen Schüler-Hausarbeit die im Netz über dieses Gedicht gratis einsehbar sind… hätten da aber wahrlich Abhilfe geschaffen. Einbildung ist eben auch Bildung.

Gruß aus Berlin!
Kamil