Samstag, 21. Januar 2012

Woker at his best




Der Einfachheit halber, kopiere ich hier einen eben erschienen NZZ-Artikel von Martin Woker gleich in den Blog:

Besorgte Zahlmeister Palästinas
Die europäischen Financiers einer Zweistaatenlösung im Heiligen Land sorgen sich wegen des politischen Stillstands. Der «Nahostfriedensprozess» ist Geschichte.
 
Von Martin Woker

Die Kunst der Diplomatie kennt viele Mittel. Eines davon ist die Erzeugung öffentlichen Drucks. Ein Beispiel dafür liefert einmal mehr der Landstreit um das einstige britische Mandatsgebiet Palästina, der auch 64 Jahre nach der Gründung Israels ungelöst ist. Vonseiten der in Ostjerusalem und Ramallah stationierten diplomatischen Vertreter der wichtigsten EU-Staaten wurde eine Öffentlichkeitskampagne lanciert. Insgesamt drei den Medien zugespielte interne Berichte sollen deutlich machen, was von dem mit viel Hoffnung verbundenen «Nahostfriedensprozess» übrig geblieben ist: nicht viel.

Kollektive Verdrängung

Die europäischen Staaten tragen seit Jahren die finanzielle Hauptlast eines Prozesses, der in dieser Art nicht zum Frieden führt. Während 1992, im Jahr vor Abschluss der Oslo-Verträge, rund 241 000 jüdische Siedler auf besetztem palästinensischem Boden (inklusive Ostjerusalem) lebten, waren es 2011 über doppelt so viele: 510 000. Diese Entwicklung kann schulterzuckend in Kauf genommen und als eine der vielen sich weltweit abspielenden Ungerechtigkeiten gesehen werden. Chronische und systematische Verletzungen von internationalem Recht gibt es überall. Wenn aber, wie von den Protagonisten in Oslo vereinbart, im Heiligen Land eine Zweistaatenlösung das Ziel ist, kann die fortschreitende jüdische Besiedlung Cisjordaniens und Ostjerusalems nicht hingenommen werden. Oder, wie sich europäische Gesandte in Jerusalem undiplomatisch klar ausdrücken: «Wir sind nicht länger bereit, Israels Besatzungspolitik zu bezahlen.»

Neu ist diese Drohung nicht. Im Schatten des «arabischen Frühlings» hat Israels Regierung sich im Palästinakonflikt erfolgreich bedeckt gehalten und keinen Handlungszwang verspürt. Die grosse Mehrheit der israelischen Bevölkerung wusste dies zu schätzen. Nichts wird im eigenen Land hartnäckiger verdrängt als der Landstreit mit den Palästinensern. Ein israelischer Publizist stellte unlängst im herausgeputzten Tel Aviv beim Latte macchiato (in der goldenen Nachmittagssonne, mit Meeresrauschen im Hintergrund) die rhetorische Frage: «Bitte schauen Sie sich um. Leben wir nicht phantastisch trotz der Besetzung der Palästinensergebiete?»

Und nun wollen ausgerechnet die Europäer diese Idylle vermiesen. Die Europäer (in Person der EU-Diplomaten) tun's nicht darum, weil sie, wie ihnen gelegentlich böswillig unterstellt wird, samt und sonders «israelkritisch», ja antisemitisch eingestellt wären. Sie äussern als Berichterstatter ihre aus eigener Anschauung gewonnene Besorgnis über eine sich zuspitzende Lage in «Nahost». Neu an der Sache ist, dass sich gestandene Diplomaten inhaltlich in einer Art und Weise äussern, wie es bisher nur Menschenrechtsorganisationen und Palästina-Solidaritäts-Gruppen taten.

Der von den EU-Vertretern gestützte Befund, wonach die Palästinenser für einen lebensfähigen Staat ein Hinterland benötigen, ist zutreffend. Knapp zwei Drittel der Fläche Cisjordaniens, in den Oslo-Verträgen als C-Gebiet bezeichnet, befinden sich unverändert unter voller Kontrolle der israelischen Militärverwaltung. Als Promotoren der Zweistaatenlösung empfehlen die EU-Diplomaten unter anderem die Entwicklung der palästinensischen Infrastruktur und Wirtschaft in dieser Region. Da ist der Konflikt mit Israels Verwaltung vorprogrammiert, die nur gerade ein Prozent der Fläche des Gebiets C (wozu etwa das Jordantal zählt) für palästinensische Besiedlung vorgesehen hat. Dass die Siedler mehr Wasser verbrauchen als die über zwei Millionen palästinensischen Bewohner Cisjordaniens, wurde unlängst auch vom aussenpolitischen Ausschuss des französischen Parlaments missbilligend vermerkt.

Kein Alleinanspruch auf Jerusalem

Die in den beiden andern Berichten geäusserte europäische Kritik beleuchtet die Lage in Jerusalem und die Diskriminierung der Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft. Der Befund könnte klarer nicht sein. Israels Alleinanspruch auf die Heilige Stadt ist unvereinbar mit dem Ziel eines funktionierenden Staats Palästina mit der Hauptstadt al-Kuds (Ostjerusalem). Die gezielte Benachteiligung nichtjüdischer Bewohner Ostjerusalems führte etwa dazu, dass bereits mehr als 10 000 palästinensische Kinder keine Geburtsurkunden haben, weil sie von Amtes wegen gar nicht in der Heiligen Stadt leben dürften. Die Ungleichbehandlung seiner Bürger wurde vor kurzem mit einem Urteil des obersten israelischen Gerichts gefestigt, das ausländischen Ehepartnern arabischer Bürger Israels keinen Familiennachzug garantiert.

Die Liste mit Fällen von Ungleichbehandlung der Bewohner des Heiligen Landes ist lang. Die Missstände zu thematisieren, ist die Pflicht der europäischen Zahlmeister jener Zweistaatenlösung, die ein friedliches Nebeneinander von Israel und dem Staat Palästina dereinst gewährleisten soll. Und wenn es nichts nützen sollte: Es soll nie jemand sagen müssen, Europa habe die Zeichen verkannt.

Einiges ist in diesem Bericht von Woker erlogen oder wenigstens falsch, einiges stimmt, aber nur wenn man den Kontext anpasst. Sehr oft werden arabische Israelis und die Palästinenser der besetzten Gebiete in denselben Topf geworfen, eine Unart oder wohl eher ein Zeichen böswilliger Ignoranz, die oft in den Medien zu beobachten ist.
Hier einige mit dem Verhältnis Israel-Palästinenser verbundene Antworten:
  1. Seit wann ist Jerusalem das Zentrum der islamischen und palästinensischen Welt geworden? Antwort: Seit Yassir Arafat in den siebziger Jahren das palästinensische Volk gegründet hat. Vorher was das kein Thema, es gab nur Araber oder bestenfalls Südsyrer. Ich habe damit kein Problem, nur sollte man sich bewusst sein, dass bis zur israelischen Staatsgründung nur Juden Palästinabürger waren. Ich besitze Urkunden meines Schwiegervaters aus den Zwanzigerjahren, die das bezeugen.
  2. Warum bringt arabische Israelis nichts so sehr aus der Fassung, ja in Panik und zu schlaflosen Nächten, wie wenn der israelische Stalinist und Aussenminister Avigdor Lieberman wiederholt verlangt, ihre Städte und Dörfer dem zukünftigen Staat Palästina anzugliedern, ob sie wollen oder nicht. Mit anderen Worten, sie auszubürgern und zwangsweise zu Palästinensern zu machen. Ähnliches gilt für die Araber Ostjerusalems, die um jeden Preis ihre blaue Identitätskarte, die sie als israelische Bürger ausweist, behalten wollen. Dahinter stehen nicht nur Israels materielle Vorteile, die beispielsweise jeder Besuch in einem israelisch Spital oder Klinik, bei den Arbeitsämtern, bei der Nationalversicherung, bei Banken und auf der Post, in Einkaufszentren und ähnlichem bestätigt. 
  3. Die Furcht vor einem Staat Palästina ist Teil der arabisch-israelischen Identität, auch wenn das nur in privaten Gesprächen ausgesprochen wird. Unsere arabischen Mitbürger wissen, dass sie von den Palästinensern der Westbank und palästinensischen Flüchtlingen in anderen arabischen Ländern gehasst werden, eine Tatsache, die mir von meinem arabischen Freunden wiederholt eingetrichtert wird. Sie werden als Israelis gesehen und auch so genannt, auch wenn sich viele von ihnen sich selbst „48er Araber“ nennen. Ob dieser Hass das Resultat von Neid über ihren unvergleichlich höheren Lebensstandard und ihren Status als Bürger einer freien Gesellschaft ist, kann nur abgeschätzt werden. Auch wenn es nicht wenige Anhänger des Scheich Raed Salah, dem israelischen Filialleiter der Hamas, gibt, die gegen Israel demonstrieren und es hassen, vertreten diese nicht die Mehrheit unserer arabischen Mitbürger.
  4. Dann die Sache mit dem Wasser: Israels Landwirtschaft, die etwa 5% des Bruttosozialproduktes des Landes ausmacht, verbraucht 80% des gesamten israelischen Wasserhaushaltes. Wasser für die Landwirtschaft wird hauptsächlich aus Kläranlagen oder aus zum Trinken ungeniessbarem da verseuchtem Grundwasser im israelischen Tiefland gewonnen. Das ist gerade was in der Westbank fehlt – die dortigen Palästinenser bohren zwar (illegal) eigene Aquifere an, doch an eine Aufbereitung und Wiederverwendung von Abwasser wird nicht gedacht. Das trotz israelischen und europäischen Hilfsangeboten. Lieber geht man zu den Europäern, die fast so viele Mittel für Palästinenser investieren wie Israel, und jammert über Israel, den ewigen Sündenbock. Dieses Fehlen eigener Initiative und die Tradition dafür die Schuld auf Andere zu schieben, ist ein Kernproblem der palästinensischen Gesellschaft, die aber auch in allen arabischen Ländern zu erkennen ist. Da Israel nach jahrzehntelanger Verzögerung endlich anfing Entsalzungsanlagen zu bauen (bis jetzt sind es drei) wird sich mittelfristig das Problem der Wasserversorgung lösen. Ich weise darauf hin, dass in den „antiisraelischen“ Studien zum Wasserproblem Israel-Palästina vor allem der Wasserverbrauch berücksichtigt wird, doch offenbar die Frage woher das viele von Israel konsumierte Wasser kommt, wie Wasseraufbereitung und ähnlichem, von niemandem gestellt wird, da sie nicht zu Anklagen gegen Israel verwendet werden können.
Abschliessend will ich einmal mehr feststellen, dass ich, was den palästinensisch-israelischen Konflikt angeht, mit der heutigen israelischen Politik nichts am Hut habe. Ich denke, dass Israel aus der Westbank analog wie in Gaza, nichts zu suchen hat und abziehen sollte. Nur geht das heute nicht, da nur Israel für seine eigene Sicherheit die Verantwortung hat, nicht Herr Woker oder irgendein anderer Besserwisser. Schon zweimal ist Israel aus dem „Ausland“ heimgekehrt und jedes Mal sind als „Dank“ aus dem Libanon und aus Gaza die Raketen geflogen. Ich besuche die Westbank ausschliesslich um Informationen zu sammeln. Ich habe mit arabischen und drusischen Freunden ein sehr gutes Verhältnis, auch im Wissen, dass diese meine kritischen Ansichten über die Situation genauestens kennen. Ich wähle links, früher Meretz (Mapam), heute bin ich Mitglied der Arbeitspartei. Nationalismus ist mir fremd, der Zionismus ist für mich eine Notwendigkeit auf Grund der jüdischen Geschichte und zur Rettung des jüdischen Volkes. Mir ist auch bewusst, dass wir Juden das Land teilen müssen und Diskussionen zum „wer war vorher da“ zu nichts führen. Stattdessen müssen wir uns mit den Menschen von heute einigen, ein Prozess, der nicht mit Steinen, sondern mit Felsen gepflastert ist. Noch immer warte ich darauf, dass unsere Partner eigene Friedensbewegungen- und Parteien hervorbringen, die für friedliche Lösungen und ein nachbarliches Zusammenleben einstehen. Nur eben, wenn bei uns Hunderttausende für Frieden demonstrieren, demonstrieren unsere „Partner“ zu Hunderttausenden ihren Judenhass und den Willen uns ins Meer zu jagen. In der völlig undemokratischen arabischen Gesellschaft (man komme mir nicht mit dem arabischen Frühling) gibt es doch eine gewisse Demokratie. Während Israel von den meisten arabischen Regierungen wohl mangels Alternative anerkannt wird und Friedensabkommen erstellt hat oder wenigstens inoffiziell aber korrekt miteinander verkehrt, sind deren Völker – am Beispiel Ägypten bestens zu erkennen – noch völlig mit Israelhass durchtränkt. Israels heutige Regierung trägt nicht viel dazu bei, diesen Zustand zu ändern.

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