Donnerstag, 23. Februar 2012

Israels Problem mit den Superfrommen


Haredische Yeshivaschüler scheinen sehr sportlich und körperlich fit zu sein. Zwar schaukeln sie tagtäglich stundenlang über ihren heiligen Büchern, in grossen Hallen mit schlechter Luft, sehen kaum Sonne und besitzen den ungesunden Teint eines Stubenhockers. Aber wenn’s darauf ankommt, wie beim Steinewerfen auf Polizisten oder beim Davonrennen von eben diesen, da stellen sie neue Rekorde auf. Ihre schwarzweisse Kluft hindert sie dabei nicht sondern beweist höchstens, dass auch Pinguine (ein traditioneller israelischer Ausdruck)  sich athletisch auszeichnen und erstklassige Infanteristen sein könnten.


Vor wenigen Tagen entschied Israels Obergericht, die höchste juristische Instanz des Landes, das zehn Jahre alte Tal-Gesetz (ein Gesetz, das es frommen jungen Männern ermöglicht, sich erfolgreich und permanent von Militärdienst, Zivildienst und Arbeit zu drücken) sei verfassungswidrig und damit ungültig. Zwar fiel dieser Entscheid zehn Jahre zu spät und kostete dem Staat ungefähr eine halbe Million Rekruten, jährlich rund 50'000, die statt der Allgemeinheit zu geben, sich aus der Allgemeinheit bedienen und nehmen was das Zeug hält. Im laufenden Jahr seien es sogar schon 62'000 junge Männer, die sich durch Yeshiva-Sitzen von grundsätzlichen Bürgerpflichten drücken wollen.

Es ist schwierig zu glauben, dass dieser wohl wichtigste Gerichtsentscheid der letzten Jahrzehnte keine handfeste Wirkung zeigen wird. Bisher gibt es nur wenige Reaktionen, hier drei davon:



Rabbi Shmuel Auerbach, einer der Grossen der antihassidischen Litwakergesellschaft in Jerusalem, empörte sich heute und sagte, dieser Gerichtsentscheid reisse das Herz aus dem Körper des Judentums. Auerbachs Herz des Judentums scheint Abscheu vor Arbeit, Parasitentum auf Kosten der Allgemeinheit, Grauen vor Frauen, Hass auf nicht Gleichgesinnte und die Furcht vor der Moderne zu sein. Kein Yeshivebocher werde je in der Armee dienen. Punkt.

Innenminister Eli Yshai (Gideon Levy nennt ihn den Jean-Marie LePen mit Bart) sagt, dass das Finanzministerium mit seiner Budgetpolitik gegenüber dem Militär es nicht zulasse, dieses Jahr 65'000 Soldaten mehr zu rekrutieren. Sogar schon bestehende Einheiten können aus Geldgründen nicht weitere Mannschaften erhalten. Also, müsse das Tal-Gesetz wieder um ein weiteres Jahr verlängert werden, Hohes Gericht hin oder her. Soweit das Staats- und Demokratieverständnis dieses schwarzweissen Ministers.

Was sagen Yeshivaschüler: Aus den Medien waren Reaktionen zu hören wie:
   - wenn der Rabbi sagt wir sollen in die Armee gehen, dann gehen wir, aber alle zusammen.
   - Wenn der Generalstabchef ein Haredi sein wird, dann werde auch ich Soldat (kein Witz, sondern ganz ernsthaft am Radio zu hören).
   - Die Armee kann es sich nicht leisten unsere Vorbedingungen zu akzeptieren: das sind keine Frauen in der Armee, glatt-koschere Küche, rabbinische Beratung der Kommandanten hat Vorrang (klingt wie die Kommissare der Roten Armee), Zeit zu „lernen“ – um nur einige Ideen zu zitieren.

    Warten wir auf den Tag, an dem wir bärtige Soldaten, mit wehenden Schläfenlocken und Tzitziot Nester voller Hamas- oder Hisbollahterroristen ausheben sehen.

    Doch Spass beiseite. Kann die Regierung so schnell alte eingefahrene Traditionen über Bord werfen? Es gibt den Nachal-Haredi, ein Battalion haredischer Soldaten, die sich freiwillig und meist gegen den Willen ihrer Rabbiner zur Armee gemeldet haben. Dann gibt es einige hundert haredische Soldaten, die vor allem in der Flugwaffe technische Berufe erlernen. Alles in allem keine zweitausend Mann. Doch nun steht die Armee vor dem politischen, finanziellen und organisatorischen Problem zehntausende junge Männer, von denen die meisten keine Ahnung über das Leben in der wirklichen Welt besitzen und extreme religiöse Vorbedingungen mitbringen, auf einmal zu integrieren. Das zu erfüllen erscheint unmöglich. Doch sind Israel und seine Armee dafür bekannt Probleme zu lösen. Die ersten dieser Probleme werden bestimmt die politischen sein – kann sich Nethanyahu politisch von den haredischen Parteien lösen und diese in die Wüste schicken? Unterstützung dazu hat er bestimmt genügend: von der Arbeitspartei, Kadima, Meretz und auch Lieberman, der seine Unterstützung als Erster angemeldet hat. Ob ihn die arabischen Knessetmitglieder darin unterstützen werden? Denn als nächste könnten unsere arabischen Bürger an die Reihe kommen. Interessante Zeiten kommen auf uns Israelis zu. Ich behaupte noch immer, dass es genau solche Probleme sind, die die Zukunft Israels als demokratischen Staat und somit als Staat überhaupt sichern.

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