Donnerstag, 5. Juli 2012

Israel wichigste Sorgen




Die Regierungskoalition

Noch nie in seiner Geschichte hat sich das israelische Wahlsystem mit seinen Auswüchsen so negativ bewiesen. Minderheiten, vor allem Rechtsextremisten und Superorthodoxe, sind in der Lage, die Regierung zu Entscheiden zu erpressen, die sogar Nethanyahu nicht in den Kram passen. Trotzdem besteht gerade mit der gegenwärtigen Riesenkoalition die noch nie dagewesene Möglichkeit revolutionäres, noch nie dagewesenes zu erreichen und Israel als wirklich demokratischen Staat ohne wacklige Füsse zu sichern. Mit einer Koalitionsmehrheit von rund achtzig Prozent hat Ministerpräsident Nethanyahu heute die Möglichkeit grosses zu tun, das die interne Situation Israels aufs positivste verändern würde. Doch diese Superkoalition wackelt schon. Das zu revidierende Tal-Gesetz, das er auf Entscheid des Obersten Gerichtshofes revidieren oder gar abschaffen muss, bringt ihn in Nöte. Er, der am liebsten alles beim Alten lassen möchte, dem der eigene Stuhl wichtiger ist, als das Wohl und der demokratische Charakter Israels, muss Entscheide treffen, die er nicht mag.

  • Nethanyahu könnte, wie er zurzeit vorgibt zu tun, demokratische Pflichten für sämtliche Bürger Israels durchsetzen. Jeder Bürger, der Fit für Militärdienst oder Zivildienst ist, soll dienen. Weder Lebensstil noch, Zivilstand, Religion noch Volkszugehörigkeit darf als Ausrede dienen. Nur die Armee selbst darf nach militärischen Kriterien entscheiden, wen sie will.
  • Nethanyahu könnte, wenn er den Mut dazu hätte, das israelische Oberrabbinat auflösen und undemokratische Macht über Zivilstand, Geburten und Todesfälle, das Koscherwesen und alles mit Religion verbundene privatisieren oder religiös neutralen staatlichen Ämtern überlassen. Das Oberrabbinat ist eine völlig überflüssige kostenaufwendige Bürokratie selbsternannter reaktionärer bärtiger Tyrannen, die nicht erkennen wollen, dass wir im 21. Jahrhundert leben. Es wurde von den einstigen britischen Mandatsbehörden geschaffen, um einen zentralen Gesprächspartner für Religiöses zu haben, so wie in allen westlichen aufgeklärten Staaten. Im heutigen Israel wird der Mensch auf seine Religion reduziert, ein Unfug sondergleichen. Mit der Privatisierung aller Religionen in Israel, wäre dieses Amt überflüssig. Solange es bestehen bleibt, schadet es unserer Demokratie. Haredische Juden anerkennen das Oberrabbinat schon heute nicht an, sie haben ihre eigenen Rabbiner, die über ihre Höfe wie Könige herrschen. Doch eben das ist ihre Privatsache und demokratisch legitim, auch wenn es die Mitglieder dieser Höfe von selbständigem Denken und Entscheiden abhält. Die staatlichen Oberrabbiner sind das nicht.
  • Nethanyahu könnte, wenn er wollte, die wachsende raffgierige Oligarchie, Wirtschaftskriminalität und organisiertes Verbrechen und ihre nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch ethisch negativen Einflusse, bekämpfen. Zwar können die zahlreichen Gerichtsverfahren und Verurteilungen korrupter Politiker und Beamter als positives Beispiel betrachtet werden, weil Korruption im gesamten Mittleren Osten zum akzeptierten Lebensstil gehört, aber nur in Israel, dieser Ausnahmedemokratie der Region, strafrechtlich verfolgt wird und für die Täter tatsächlich Konsequenzen hat. Persönliche Sesselkleberei ist eine Abart der Korruption, es ist die völlige Ablehnung persönlicher Verantwortung und Übernahme persönlicher Konsequenzen für eigenes politisches Fehlverhalten, sind noch immer Fremdworte in der israelischen Politszene.
Die Haredim

Eines meiner Lieblingsthemen. Für einmal nur eine einzige Beobachtung. Die etwa 800'000 aber in einem Supertempo von jährlich über acht Prozent wachsenden haredische Bevölkerung könnte in wenigen Jahrzehnten die Mehrheit der Juden in Israel bilden. Sie leben in einer sozial völlig abgeschirmten Gesellschaft. Ihr Lebensstil des Thoralernens statt nützlicher Arbeit und die daraus folgenden Konsequenzen auf die Gesellschaft, ist der Grund, dass Israel unter den OECD Staaten abgeschlagen mit einem fast zwanzig Prozent kleineren Anteil arbeitender Menschen unter den arbeitsfähigen Bürgern dasteht. Womit das israelische BSP sehr viel niedriger in Erscheinung tritt, als es die israelische Wirtschaft eigentlich verdient.

Dieser parasitäre Lebensstil der haredischen Bevölkerung wird vor allem von seinen allmächtigen Rabbinern ihren Schäfchen aufgezwungen , auch wenn heute, wie aus vielen Quellen zu vernehmen ist, der Wunsch die eigene Familie selbst zu erhalten und auch Militärdienst zu leisten, unter haredischen jungen Männer wächst. Das könnte, wer weiss, zu einem internen haredischen Aufstand führen. Die reaktionäre Macht haredischer Rabbiner könnte im Laufe der kommenden Jahrzehnte gebrochen oder wenigsten geschwächt werden. Ich denke, dass diese Entwicklung jedoch an gewisse Änderungen im haredischen Lebensstil gebunden sein muss. Es kann schlicht nicht sein, dass der Staat seine Einrichtungen, die all seinen Bürgern zu Verfügung stehen, haredischen Ansprüchen anpassen muss. Wie superkoschere und völlig frauenlose Einheiten im Militär, ohne die haredischer Militärdienst nicht zu realisieren ist. Ich denke, dass nicht die Mehrheit sich allen haredischen Sonderwünschen bedingungslos zu beugen hat, sondern Haredim sich an die allgemeinen Regeln unserer Gesellschaft soweit wie notwendig anpassen müssen. Es geht nicht um ihr privates Leben, sondern um die Eingliederung in die moderne israelische Gesellschaft mit all ihren Rechten und Pflichten. Und um einen gewissen Stolz, sich nicht von der arbeitenden Bevölkerung aushalten zu lassen. Wenigsten so lange, wie Israel ein säkularer Staat bleiben kann.

Die Westbankbesiedlung

Die Welt weiss nicht, dass bis 1977, als Menachem Begin in Israel die Macht übernahm, in der Westbank weniger als fünftausend Israelis in der Westbank lebten. Mit Begins Machtübernahme änderte sich das, heute sind es etwa 400'000, er öffnete den ideologischen Besetzern die Schleusen. Allerdings sind ein grosser Teil der heutigen Westbanksiedler aus wirtschaftlichen Gründen dorthin gezogen – die schönen grossen Villen, die gute Luft und die noch besseren Preise und staatlichen Vorzugsbedingungen sind auch heute noch sehr attraktiv.

Doch die Westbankbesiedlung kostet Israel einen enormen Preis, vielleicht nicht im Zusammenhang mit der Sicherheit des Staates, aber im Laufe der jahrelangen Besetzung ist das Land in einen moralischen Sumpf geraten, in den es immer tiefer sinkt. Prof. Jeshajahu Leibowitz bemerkte schon vor über dreissig Jahren, dass Besetzung den Besatzer korrumpiere. Diese Prophezeiung ist eingetroffen: Araberhass droht den humanistischen Zionismus zu zerstören. Nicht wenige Siedler verfolgen heute Palästinenser in den Gebieten, schlagen sie, zerstören ihre Ernten und Olivenbäume, bedrohen und töten sie, zünden Hauser und Moscheen an – sie haben sich auf einen Weg und ein Niveau begeben, der dem palästinensischer Terroristen peinlich nahesteht. Auch wenn man, realistisch gesehen, von Israel den Abzug aus der Westbank heute nicht erwarten darf, Israels Sicherheit hat mit dem faschistischen Verhalten gewisser Siedlerkreise kaum etwas zu tun, ausser vielleicht, dass es auch unschuldige Palästinenser, die eigentlich mehr unter Terror aus ihren eigenen Kreisen leiden, uns Juden noch weiter entfremdet. Sogar wenn man das jüdische Recht auch im Kernland des biblischen Eretz Israel zu wohnen prinzipiell anerkennt und der politischen Phantasterei der Palästinenser eines völlig judenfreien Palästinas mit Ablehnung gegenübersteht – das jüdische Israel muss sich wieder auf die Philosophie der Gründergenerationen besinnen. 

Abschliessend

Nun werden bestimmt viele fragen, warum der Uri in dieser Liste Israels echter und kritischer Sorgen, die „Friedensbemühungen“ der zwei Verhandlungspartner Palästinenser und Israelis nicht erwähnt. Der Grund dafür ist meine Überzeugung, dass weder Palästinenser noch die gegenwärtige israelische Regierung an einem wirklichen Friedensabkommen und einem friedlichen Nebeneinanderleben interessiert sind. Den Palästinensern der Westbank (und auch Gazas) geht es relativ gut (was sie jedoch nie zugeben dürfen), sie werden von der Welt materiell auf quantitativ absurde Weise finanziell unterstützt. Ob der Löwenanteil dieser Unterstützung auf Schweizer Bankkonten landet ist für Israel nicht von Interesse, müsste es aber für die Palästinenser selbst sein. Doch sie machen lieber Aussenstehende für ihre allfälligen Nöte verantwortlich. Nach weit über sechzig Jahren arabischer Feindschaft und vielen stets gewonnenen Kriegen, hat sich in Israel eine Regierung breitgemacht, welcher der Status Quo willkommen ist und mit seiner Siedlungspolitik Israel langsam aber sicher in die Hölle reitet. Gegen die palästinensische und muslimische Bedrohung kann sich Israel halten, auch wenn ein wehrhaftes Israel (also wehrhafte Juden) von vielen der westlichen Welt, als Oxymoron gesehen wird. Nach 1945, also nachdem die Nazis vernichtet waren, warf man uns Juden vor, uns nicht gewehrt zu haben (quasi, als wären wir am Holocaust selbst schuld), während heute Israel vorgeworfen wird, es sei zu wehrhaft, ja zu einem Militaristenstaat geworden – eine Behauptung, die jeder, der Israel kennt, als eine der vielen ideologischen Vorurteile dummer Ignoranten erkennt.

Deshalb stehe ich zu oben beschrieben drei Themen als Israels wichtigste existenzielle Gefahr und denke, Israel selbst ist heute sein eigener grösster Feind. Frieden bringt uns dies Einsicht zwar nicht, das Überleben als zionistischer demokratischer Staat aller seiner Bürger aber schon. Das bis sich die gegenseitige Einstellung der Regierungen und Bürger beider Partner einer neuen Realität stellt.

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