Mittwoch, 23. Januar 2013

Heutige Tage



Vater und Sohn – Tommy und Yair Lapid (Wahlkommentar) 

Noch immer trauere ich dem überzeugten Säkularisten Tommy Lapid nach, dessen Leben sein Sohn Yair in einem wunderschönen und hochinteressanten Buch „Memoiren nach meinem Tod“ geschrieben hat. Yair‘s Abschneiden wurde in den gestrigen Knessetwahlen zur Sensation, er erzielte noch mehr Parlamentssitze, neunzehn, als sein Vater in 1999 mit 15 Sitzen. Sein Sohn will unter anderem das Hauptziel seines Vaters realisieren, den Parasitenstatus der Haredim in Israel abzuschaffen. Nun werden wir sehen, wie er das bei Nethanyahu, der Ministerpräsident, wenn auch geschwächt, bleiben wird, das durchbringt. In Bibis Rede nach den Wahlen wird dieser Punkt schon erwähnt. Auch wenn ich Nethanyahu nie ein Wort glaube, hat er sich der neuen Realität schon angepasst. Yair Lapid will das Problem höflicher als sein Vater angehen und den sich vor Arbeit und Bürgerpflichten, vor allem der Militärdienstpflicht, drückenden Haredim fünf Jahre Zeit geben, sich darauf vorzubereiten. Arbeiten sollen sie ab sofort, doch Soldaten sein erst nach fünf Jahren. Ich selbst kann mich damit nicht anfreunden, denn damit wird Israels wirkliches Hauptproblem wiederum auf die lange Bank geschoben und würde sogar nach den in vier Jahren wieder stattfindenden Knessetwahlen weiter grassieren. Das wäre, so denke ich, der Tod dieser Initiative. Im Übrigen ist zu vermerken, dass diese Initiative für volle Bürgerpflichten für alle, auch für arabische Israelis gelten soll. Wie gesagt, mit Yair’s Plan kann ich mich nicht anfreunden.

Man wirft Yair Lapid vor, sich in seiner Partei „Jesh Atid“ (Es gibt eine Zukunft) wie ein Diktator zu gebärden. In den Statuten seiner Partei steht, dass er den Parteivorsitz bis 2020 behalten wird. Doch ich verstehe diesen Passus. In den von ihm geschriebenen Memoiren seines Vaters Tommy „Memories after my dead“ beschreibt er, auf welche Art dessen Partei „Schinui“ zusammenbrach. Parteimitglieder, vor allem jüngere profilsüchtige Profitierer, rissen das Kommando an sich und booteten Tommy und seine Freunde aus. Im Buch wird beschrieben, wie Tommy Lapid, noch Justizminister mit seinem Freund, dem Innenminister Avraham Poraz, ihre letzte Parteiversammlung verliessen und die internen „Revolutionäre“ dem Schicksal überliessen. Die Schinui Partei verlor sämtliche Sitze und verschwand aus der politischen Landschaft Israels. Tommy starb wenig später. 

Ich denke Yair Lapid hat daraus gelernt und sich deshalb genügend Zeit ausbedungen, seine Partei und seine Politik so zu führen, dass ihre Zukunft gesichert bleibt. Ob diese Zukunft sich nach seinen Wünschen entwickeln wird, das werden wir sehen. Im Moment hat er dazu die Chance seines Lebens.
 
Enkelin Hadass wählt zum ersten Mal und ist stolz darauf 

Gestrige Wahlen für die Knesset waren bei weitem nicht meine ersten. Wenn ich gelegentlich an die Wahlen in den frühen sechziger Jahren denke, an denen unsere Kibbuz, der als Kibbuz des Haschomer Hazair zur marxistischen Partei „Mapam“ (heute nicht mehr marxistisch und Teil der linken Partei „Meretz“) gehörte, befällt mich Wehmut. An einem Demonstrationsmarsch durch die Strassen Haifa, an dem wir rote Fahnen wedelten und die Internationale sangen, hatten wir viel Spass. Wir retteten sogar das Leben eines kleinen Jungen, der seinen Kopf durch einen Eisenzaun gesteckt hatte und ihn nicht mehr heraus ziehen konnte. Chawer Esra, Elektriker des Kibbuz, brachte es fertig den Kleinen zu befreien. Die Mutter rief dankbar und unter Tränen: „Wie kann ich meinen Dank zeigen, ihr habe mein Kind gerettet“. Im Chor antworteten wir: „Wählt Mapam!“ 

Alles wieder von vorne

Wir sind umgezogen. Vom schönen Zichron Yaakov ins ebenso schöne Tiv'on. Zugleich ist dieser Umzug ein wirklicher Schritt in einen neuen Lebensabschnitt. Wir wohnen nun in einer sogenannten Altersresidenz. Unsere Tochter Michal nennt es einen Club Mediteranée für Pensionäre. Zusammen mit noch etwa 250 Alterskollegen, unter denen wir allerdings zu den jüngeren zählen. Das Anzahlsverhältnis zwischen Männlein und Weiblein steht bei etwa 1:5. Wir Männer haben’s also schön. Eine der ersten Fragen, aus weiblichem Mund an mich gerichtet war: „Bist du allein?“. Mein Freund Arie Levy der Schreiner aus Zichron Ya’akov, der mich besuchte - Lea war gerade bei ihrer Schwester im Kibbuz – fing an zu lachen. Ich verstand nicht warum, und er musste mich über das Verhalten fröhlicher Witwen aufklären. Wie gesagt, Männer haben es hier sehr schön. Als wir vor zweieinhalb Jahren von unserem Häuschen in eine Wohnung zogen, dachten Lea und ich es sei der letzte Umzug. Doch ausgesundheitlichen Gründen mussten wir nochmals umziehen und sind, da es eine solche Institution in Zichron Yaakov (noch) nicht gibt, im nahe gelegenen Tiv’on gelandet.  

Doch wir sind weiterhin selbstständig. Wir kochen, laden Gäste zu Mahlzeiten ein, fahren mit dem Auto wohin wir wollen und sind frei. Nur, die Wohnung hat statt vier nur noch zwei Zimmer, der Balkon ist statt 30 m2 nur noch 7 m2 gross. Dafür sind Handwerker im Haus, Putzfrauen und eine Pflegerin für Lea – die Organisation ist unübertrefflich und das Personal ist nett. Wir rufen uns alle beim Vornahmen, soziales ist gross geschrieben. Täglich, ausser am Wochenende, obwohl es hier nicht religiös zugeht, da Religion hier Privatsache ist, finden Vorträge und Kurse statt, jeden Morgen bin ich schon um halb acht im Hallenbad und schwimme meine Runden. Jüdische Feste werden gefeiert. Ich fühle mich um über fünfzig Jahre in den Kibbuz zurückversetzt. Da wir in Tiv’on alte Freunde aus der Schweiz haben und es eine Reformgemeinde gibt, wird uns das bei der Eingewöhnung helfen. Soweit geht es uns prächtig und es gibt keinen ersichtlichen Grund, der dagegen spricht.

Ganz besonders gefällt mir ein anderer junger Mann, der Israel. Er ist nur sieben Jahre älter als ich. Er kommt aus Amerika, ist Musiker und spielt verschiedene Instrumente. Darauf spielt er Jazz und Blues und wir haben bereits Pläne. Nur eben, auch seine Frau ist krank und auch er wurde zum Chauffeur für medizinischen Tourismus. Wir werden hier eine Zukunft haben, eine, so hoffe ich aber, musikalische.

Vor einigen Tagen rief uns eine Dame an und lud uns zum sofortigen Zvieri ein. Sie heisst Reef und kommt aus Südafrika.  Wir seien neu hier und auch nett, habe sie gehört. Ihre ebenfalls anwesende Freundin gehört zu den Machsom Watch Frauen, jenen, meist Omas, die in den besetzten Gebieten beobachten, wie man die Palästinenser an Strassensperren (Machsom in Hebräisch) plagt. Die meisten Strassensperren sind zwar aufgehoben, aber der Krieg dieser Machsom Watch Damen gegen die Soldaten und Polizisten Israels geht weiter. Ich beschrieb im Tagebucheintrag vom 10. Juni 2009 meine Erfahrungen mit zwei anderen Machsomistinnen. Mein damaliger Eindruck war ziemlich negativ und ich fand das Benehmen meiner Begleiterinnen oft deplaziert. Doch meine neue Bekannte sieht das anders und hegt,so sagt sie, keine Animositäten gegen unsere Sicherheitsbehörden. Sie zeigte sich über meine eigenen vierstündigen Erfahrungen überrascht. Wieder einmal wird mir demonstriert, dass Verallgemeinerungen, d.h. das Benehmen einzelner auf das Benehmen einer ganzen Gruppe zu übertragen, nicht immer stimmen.

1 Kommentar:

Alexander Scheiner, Israel hat gesagt…

Lieber Uri,
Dir und Lea wünsche ich in eurem neuen Heim in Tivon viel Glück. Ich freue mich, dass ihr euch schon gut eingelebt hat.
Der Bericht über die Wahlen in Israel und Yair Lapid gefällt mir. Ist er auch ein Staatsmann? Kann er die Palästinenser veranlassen, endlich echte Friedensgespräche aufzunehmen? Nun bleibt zu hoffen, dass die umtriebige JVJP den Schweizerischen Bundesrat nicht „jetzt erst recht“ veranlassen wird, die diplomatischen Beziehungen mit Israel abzubrechen, erstens, weil Israel als lebendige Demokratie die Harmonie unter den Palästinensern stört, und zweitens, um die Palästinenser bei ihrem Gang zum ICC zu unterstützen.
Da wir jetzt beim Thema sind, halte ich nochmals ganz klar fest, dass die propalästinensischen jüdischen NGO’s unbedingt für ihre israelschädlichen und verwerflichen Aktivitäten zur Rechenschaft gezogen werden müssen.
Alexander Scheiner, Israel